ARNOLD GEHLEN Sicherheitsrisiken (1973) 

Die allein uns hier beschäftigende Seite des Vorgangs besteht darin, daß an der Aufbereitung der Stimmung in der Heimat, zu der viele Jahre Zeit war, die Massenmedien den entscheidenden Anteil hatten. Die Mentalität der Medien-Funktionäre war und ist bei ihrem größten Teil humanitärpazifistisch gefärbt, und das bedeutet im Kriege: defaitistisch. 
Damit war das Grundrecht auf Pressefreiheit öffentlich zu einem Grundrecht auf Nebenregierung erklärt worden. 
Es gibt eine echte, in diesem Fall sogar siegreiche Nebenregierung durch Publizisten, die im Krisenfall zu ignorieren sich keine Regierung auf die Dauer leisten kann. Das formidabelste Instrument dieser Nebenregierung, die sich auf die berufseigene Mentalität der Publizisten-Mehrheit stützt, sind, die Sender, zumal das Fernsehen. 
Diese Nebenregierungen können nicht zur Verantwortung gezogen werden, außer durch ihr eigenes internes Gesinnungstribunal. Damit ist die neue Aristokratie, die der Intellektuellenklasse, in wesentlichen Merkmalen beschrieben. 
Wir stehen vor der Paradoxie, daß ein Großteil unserer Intellektuellen mit dem Recht der freien Meinung die Marxismusformeln dort anbietet, wo man sie längst in Realität übersetzte und wo man die freien Meinungsträger entweder verachtet oder für ein Sicherheitsrisiko hält. 
Auf unserer Seite ist das Bekenntnis zu einem „erneuerten" Marxismus, der nach Frankfurter Muster zugleich die Ichbetonung des liberalen Zeitgenossen enthält, nicht nur eines der Lippe, es ist auch gestikulierend. Man kann dann in der Öffentlichkeit Platz nehmen, die ohnehin aus Wiederverwendungsstoffen besteht und durch und durch zweiter Hand ist, schlechthin „Re", nämlich Reportage und Reproduktion. In dieser Öffentlichkeit sich zu „profilieren" ist nun ebenso notwendig wie schwierig, denn man muß dort noch erkennbar bleiben, wo das größte Gedränge ist, - doch hat man inzwischen das Rezept gefunden: überbieten. Daher der stets steigende Radikalismus.
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Presse als Nebenregierung - Arnold Gehlen Sicherheitsrisiken 1973 1von2

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ARNOLD GEHLEN Sicherheitsrisiken (1973)

Die allein uns hier beschäftigende Seite des Vorgangs besteht darin, daß an der Aufbereitung der Stimmung in der Heimat, zu der viele Jahre Zeit war, die Massenmedien den entscheidenden Anteil hatten. Die Mentalität der Medien-Funktionäre war und ist bei ihrem größten Teil humanitärpazifistisch gefärbt, und das bedeutet im Kriege: defaitistisch.
Damit war das Grundrecht auf Pressefreiheit öffentlich zu einem Grundrecht auf Nebenregierung erklärt worden.
Es gibt eine echte, in diesem Fall sogar siegreiche Nebenregierung durch Publizisten, die im Krisenfall zu ignorieren sich keine Regierung auf die Dauer leisten kann. Das formidabelste Instrument dieser Nebenregierung, die sich auf die berufseigene Mentalität der Publizisten-Mehrheit stützt, sind, die Sender, zumal das Fernsehen.
Diese Nebenregierungen können nicht zur Verantwortung gezogen werden, außer durch ihr eigenes internes Gesinnungstribunal. Damit ist die neue Aristokratie, die der Intellektuellenklasse, in wesentlichen Merkmalen beschrieben.
Wir stehen vor der Paradoxie, daß ein Großteil unserer Intellektuellen mit dem Recht der freien Meinung die Marxismusformeln dort anbietet, wo man sie längst in Realität übersetzte und wo man die freien Meinungsträger entweder verachtet oder für ein Sicherheitsrisiko hält.
Auf unserer Seite ist das Bekenntnis zu einem „erneuerten" Marxismus, der nach Frankfurter Muster zugleich die Ichbetonung des liberalen Zeitgenossen enthält, nicht nur eines der Lippe, es ist auch gestikulierend. Man kann dann in der Öffentlichkeit Platz nehmen, die ohnehin aus Wiederverwendungsstoffen besteht und durch und durch zweiter Hand ist, schlechthin „Re", nämlich Reportage und Reproduktion. In dieser Öffentlichkeit sich zu „profilieren" ist nun ebenso notwendig wie schwierig, denn man muß dort noch erkennbar bleiben, wo das größte Gedränge ist, - doch hat man inzwischen das Rezept gefunden: überbieten. Daher der stets steigende Radikalismus.